Dreiachsige Personenwagen der schweizerischen Brünigbahn in Württemberg


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1949 verkaufte die Schweizerische Bundesbahn (SBB) insgesamt sechs dreiachsige Wagen der meterspurigen Brünigbahn Luzern - Meiringen - Interlaken nach Württemberg. Vier dieser Wagen kamen zur Härtsfeldbahn, die restlichen zwei gelangten zur Nebenbahn Amstetten - Laichingen.

Bereits 1888, als auf dem Härtsfeld noch niemand an einen Bahnanschluß dachte, nahm die Jura - Bern - Luzern-Bahn (JBL) den Betrieb auf der Brünigbahn mit insgesamt 32 dreiachsigen Personenwagen auf. Durch weitere Nachbeschaffungen erreichte der Bestand schließlich 93 Wagen mit einem Sitzplatzangebot von rund 3200 Plätzen.

Es handelte sich dabei um Wagen unterschiedlichster Typen - vom Polsterklasse-Wagen mit üppiger Innenausstattung bis zum bescheidenen Drittklass-Wagen waren alle Abstufungen anzutreffen. Alle Typen besaßen das gleiche dreiachsige Untergestell, wobei die mittlere Achse in einem besonderen Rahmen seitenverschieblich angebracht war und ein Bremszahnrad für die Zahnstangenabschnitte zwischen Giswil und Meiringen aufwies.

Mit dem Bau der Wagen hatte die JBL die Schweizerische Industriegesellschaft in Neuhausen (CH) beauftragt. Viele Einzelteile des Fahrgestells wie Achsen und Bremsbestandteile wurden "en gros" von der Firma van der Zypen in Köln bezogen. Die Wagen hatten bei einem Platzangebot von 24 - 40 Sitzplätzen ein Leergewicht von 7 - 8 Tonnen. Der Radstand der knapp 10 Meter langen Wagen betrug 6 Meter. Heizungen gab es nur in Wagen, die auch im Winter verwendet wurden. Das Wageninnere wurde durch Petroleumlampen erhellt.

Mit der Inbetriebnahme von bequemeren Vierachswagen begann ab 1926 die Ausrangierung der Wagen. Durch die Inbetriebnahme von Leichtmetallwagen zwischen 1945 und 1948 verringerte sich der Bestand deutlich. 1955 wurden schließlich die letzten Dreiachser ausrangiert. Einige haben sich als Dienstwagen bis in die jüngste Zeit gerettet. Die Ballenberg-Dampfbahn (Interlaken) hat vier Wagen in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Bei der Touristikbahn Blonay - Chamby am Genfer See findet sich ein weiterer Wagen.

Die vier Wagen für die Härtsfeldbahn wurden 1949 angeliefert und so schnell wie möglich in Betrieb genommen. Die mittlere Achse mit dem Bremszahnrad war vermutlich schon in der Schweiz gegen eine normale Achse getauscht worden. Die Wagen wurden mit der auf dem Härtsfeld üblichen Zug- und Stoßvorrichtung versehen. Schadhafte Stellen an den Wagenkästen wurden ausgebessert. Die SBB-Beschriftung wurde übermalt. Schließlich erhielten die Wagen die Nummern 10 bis 13 und konnten damit in Betrieb gehen.

Die Nummer der Wagen hatte sich im Lauf der Jahre mehrfach geändert:
Baujahr JBL ab 1890 ab 1905 zw. 1915 u. 1920 WN / WEG als Beiwagen
1889 461 1161 211 639 6 7
1888 458 1158 208 648 7 6
1888 453 1153 203 646 10 -/-
1892 -/- 1172 222 652 11 253
1889 463 1163 213 636 12 254
1889 460 1160 210 638 13 -/-

Im Zusammenhang mit der Verdieselung der Härtsfeldbahn wurden die Wagen in den Jahren 1956 bis 1960 modernisiert. Eine neue durchgehende Stromleitung wurde eingebaut. Damit war die heimelige Zeit der Petroleumfunzeln vorbei. Für wohlige Wärme sorgte von nun an eine WEBASTO-Heizung. Auch die Dächer der Wagen wurden in diesem Zeitraum gerichtet.

Anfangs der 60er Jahre baute man bei den Wagen 11 und 12 die mittlere Achse aus. Dem dadurch verschlechterten Fahrverhalten versuchte man durch stärkere Blattfedern entgegenzuwirken. Schließlich wurden im Mai 1962 in Neresheim die Wagenkästen der beiden Wagen abgebrochen. Die Fahrgestelle wurden zur Firma Auwärter in Stuttgart-Möhringen gebracht, die diese im Winter 1962/1963 mit neuen Wagenkästen versah.

Das eine Ende der Wagen war wie die vierachsigen Beiwagen 101 und 103 geschlossen und mit zwei großen Fenstern versehen. Auf der anderen Seite hatten die Wagen einen Übergang ähnlich den damals eingesetzten 3yg-Umbauwagen der Deutschen Bundesbahn erhalten. Die Wagen verkehrten fortan Übergang an Übergang als Doppelwagen-Einheit, so daß man trockenen Fußes von einem Wagen in den anderen gelangen konnte. Der Einstieg war nur noch auf der mit dem Übergang versehenen Seite möglich.

Die nun als 253 bzw. 254 bezeichneten Wagen erhielten den Spitznamen "Ziehharmonika". Sie waren aufgrund ihres unruhigen Laufs beim Personal und anscheinend auch bei den Fahrgästen nicht sonderlich beliebt. Dennoch wurden Sie bis zur Stilllegung der Härtsfeldbahn im Herbst 1972 eingesetzt.

Am 6.6.1973 wurden sie offiziell außer Betrieb gestellt und am 7. und 8. Juni 1973 nach Laichingen transportiert. Dort blieben sie abgestellt bis sie am 5. Februar 1976 für 30.000,- DM (zzgl. Mwst.) an die Schiffahrt der Inselgemeinde Langeoog verkauft wurden. Das gemeindeeigene Schiffahrtsunternehmen betreibt auch die dortige Inselbahn. Die Wagen wurden unverzüglich zur Bremer Waggonfabrik überführt, die den Aufbau um 30 cm verschmälerte und an den Enden der Wagen Scharfenbergkupplungen anbaute. Untereinander blieben die Wagen mit der Härtsfeldbahn-Kupplung verbunden.

Seit Sommer 1976 waren die Wagen als VB 5 und 6 in blauer Lackierung auf Langeoog im Einsatz. 1994 wurde der gesamte Fahrzeugpark auf Langeoog erneuert. Dabei wurden die Wagen abgestellt. 1998 wurden Sie an den Kleinbahnmuseumsverein "Jan Klein" in Wittmund veräußert. Das Vorhaben dieses Vereins, ein kleines Eisenbahn-Museum einzurichten, scheiterte und so blieben die Wagen auf dem Gelände einer Spedition stehen. Da man dort nichts damit anfangen konnte wurden sie an eine befreundete Firma in Wilhelmshaven verkauft. Dort wollte man die Fahrzeuge als Aufenthaltsraum nutzen. Doch auch dieses Vorhaben zerschlug sich, so dass die Wagen abermals zur Abgabe standen. Über gute Beziehungen wurden die Härtsfeld-Museumsbahner auf den Verbleib der Wagen aufmerksam und so hat es sich ergeben, dass die Wagen am 3. April 2002 nach dem Motto "Einmal Schwabenland - Nordseestrand und zurück" in ihrer alten Heimat eintrafen.

Im Gegensatz zu den Wagen 11 und 12 blieben die beiden Wagen 10 und 13 unverändert im Einsatz. Im August 1961 wurden sie ein letztes Mal einer Hauptuntersuchung unterzogen. Nach Ablieferung des neuen Doppelwagens 253/254 wurden sie nicht mehr benötigt und 1963 in Neresheim abgestellt. Ende 1967 interessierte sich der Deutsche Eisenbahn-Verein in Bruchhausen-Vilsen bei Bremen für den Wagen 13. Dieser sollte angeblich etwa 100,- DM kosten. Der Wagen blieb jedoch - wie auch die Nummer 10 - in Neresheim. Die Finanzierung des weiten Transports kam leider nicht zustande. Beide Wagen standen noch 1971 in schlechtem Zustand in Neresheim. Sie sollen erst nach Einstellung der Bahn bei einer Feuerwehrübung warm abgebrochen worden sein.

Die beiden zur WEG-Nebenbahn Amstetten - Laichingen gelangten Wagen hatten wiederum ein anderes Schicksal. Ähnlich wie die Härtsfeldbahn-Wagen wurden sie nach Ihrem Eintreffen zügig den Gegebenheiten der Nebenbahn angepaßt. Dabei erhielten sie die Nummern 6 und 7. Bereits 1957 wurden sie bei Auwärter mit neuen, modernen Wagenkästen versehen. Im Gegensatz zu dem Härtsfeldbahn-Doppelwagen behielten sie jedoch ihre Mittelachsen.

Die Betriebsnummern wurden beim Umbau vermutlich unabsichtlich vertauscht. Aus dem Personenwagen 6 wurde Beiwagen 7 und umgekehrt. Der alte Wagenkasten mit der Nummer 7 blieb erhalten und wurde in Laichingen als Lagerraum neben den Schienen aufgestellt. Da das Personenverkehrsaufkommen zwischen Amstetten und Laichingen nicht so hoch war, genügte es in der Regel, nur einen der beiden Wagen einzusetzen.
Nachdem die beiden Härtsfeldbahn-Beiwagen 101 und 103 in Betrieb genommen worden waren, wurden beide Wagen 1978 abgestellt. Die Deutsche Gesellschaft für Eisenbahn-Geschichte (DGEG), die bereits 1974 den alten Wagenkasten Nr. 7 erworben und nach Möckmühl an der Jagsttalbahn überführt hatte, erwarb nun auch die beiden Wagen.

Beiwagen Nr. 6 blieb in Laichingen und gelangte 1986 in den Besitz des Härtsfeld-Museumsbahn e.V.. Nach dem Abbruch des Wagenkastens wurde das Fahrgestell nach Neresheim transportiert, wo es heute auf dem Abstellgleis steht und darauf wartet, eines Tages wieder mit einem Wagenkasten versehen zu werden.
Der moderne Wagenkasten des Beiwagens 7 wurde 1980 abgebrochen. Das Fahrgestell und und die auf 750 mm Spurweite umgespurten Radsätze wurden 1982 nach Möckmühl überführt, wo man 1983 mit der Aufarbeitung des Wagens begann. Radsätze und Fahrgestell wurden aufgearbeitet. Der alte Aufbau wurde in mühevoller Arbeit - allerdings in roter Lackierung - wieder aufgebaut. Mit Teilen ehemaliger Härtsfeldbahn-3-Achser wurde ein Abteil in den Originalzustand zurückversetzt. Das andere Abteil wurde mit einfacheren Holzsitzbänken ausgestattet.

1988 wurde der Betrieb auf der Jagsttalbahn aufgrund von Oberbaumängeln eingestellt. Der Wagen 7 der DGEG kam nie zum Einsatz. Nach Abbruch des Streckenabschnitts Möckmühl - Widdern der Jagsttalbahn war die DGEG gezwungen, ihr Domizil in Möckmühl zu räumen. Die Fahrzeuge wurden in alle Himmelsrichtungen verstreut.

Jahrelange Bemühungen haben dazu geführt, daß der Härtsfeld-Museumsbahn e.V. den Wagen 7 von der DGEG anmieten konnte. Am 10. Oktober 1998 wurde der Wagen aus dem Schuppen in Möckmühl gezogen, verladen und nach Neresheim transportiert. Dort wurde die Renovierung des bald schon als "Salonwagen" titulierten Fahrzeugs abgeschlossen. Wagen 7 konnte erstmals wieder am 19. Mai 2001 und dann anlässlich der Eröffnung der Härtsfeld-Museumsbahn am 19./20./21. und 27./28. Oktober 2001 zur Personenbeförderung eingesetzt werden.

Diesen Text hat mir freundlicherweise unser Vereinsmitglied Jürgen Ranger zur Verfügung gestellt.


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[ Letzte Aktualisierung 14.04..2002 Gerald Stempel ]