Vor einem Vierteljahrhundert wurde die Härtsfeldbahn stillgelegt. Am 25. April 1972 stellte die Württembergische Nebenbahnen GmbH (WN) den Antrag auf Entbindung von der Betriebspflicht, der am 19. September genehmigt wurde. Der Personenverkehr wurde am 30. September, der Güterverkehr am 30. November eingestellt. Die fehlende Wirtschaftlichkeit war der letztendliche Grund, doch bis es dazu kam, waren viele - oft unauffällige - Ereignisse notwendig.
Von 1968 bis 1971 betrug der Substanzverzehr der Härtsfeldbahn
182.000,- DM, das Kassendefizit belief sich auf 313.000,-DM. Für das
laufende Jahr 1972 erwartete man ein Kassendefizit von 300.000,- DM.
In der Presse konnte man teilweise überhöhte oder falsch
interpretierte Zahlen finden. Aus 300 Tausend wurden so schon mal 300
Millionen Deutsche Mark.
Zeit ihres Bestehens erhielt die Härtsfeldbahn immer wieder Zuschüsse
zur Deckung des entstehenden Defizits. Abgesehen davon konnten Defizite
durch Gewinne bei den beiden anderen WN-Bahnen ausgeglichen werden.
Die Situation 1972 war alarmierend, da trotz Zuschüssen eine
Deckungslücke von 155.000,- DM erwartet wurde.
Der Grund wurde zum einen im Rückgang des Personen- und Güterverkehrs
und damit im Rückgang der Betriebseinnahmen und zum anderen in den
stetig steigenden Unterhalts- und Personalkosten gesehen. Ganz unschuldig
an dieser Entwicklung war die WN jedoch nicht.
Im Personenverkehr stand die WN seit den frühen sechziger Jahren in
Konkurrenz mit den privaten Omnibus-Betreibern Beck & Schubert
(Ebnat), Stricker (Gundelfingen) und Wahl und Söhne KG (Heidenheim).
1962 entstand ausgerechnet auf dem sowieso schlecht ausgelasteten
Teilabschnitt Aalen - Ebnat eine Konkurrenzsituation durch Einführung
einer Omnibusringlinie. Zwei Jahre später ließ die WN die Einführung
einer Omnibuslinie Aalen - Neresheim durch Beck & Schubert zu. Als
Folge davon wurde der Personenverkehr zwischen Aalen und Neresheim stark
ausgedünnt. Ab 1971 gab es an Werktagen keinen Personenverkehr mehr.
Die WN verlor auf diese Weise etwa 150.000 Personentransporte pro Jahr.
Nicht viel anders sah es auf der Teilstrecke Neresheim - Dillingen aus.
1969 richtete man hier mit Bussen der WN-Kraftverkehrsgesellschaft einen
Parallelverkehr ein. Die Gewinne aus dem Omnibusverkehr wurden nicht zur
Kompensation des sich aus dem Bahnbetrieb ergebenden Kassendefizits
verwendet.
Den Rückgang des Güterverkehrs konnte die WN ebenfalls nicht
aufhalten. 1963 entfiel der größte Frachtkunde: Die Härtsfeldwerke
wurden stillgelegt. Die Ansiedlung eines neuen Betriebs gelang nicht.
In Wittislingen erhielt die Firma Risse Kalk nicht mehr von Ulm-Ehrenstein
per Bahn, sondern von Günzburg auf der Straße. Der Düngemittel-Transport
erfolgte mittlerweile mit modernen Silo-Lastern. Auch der Zuckerrübentransport
wurde auf die Straße verlagert. Holztransporte bleiben aus. Neue
Frachtkunden konnten trotz Anstrengungen nicht gewonnen werden.
Der zentrale und einzigartige Anziehungspunkt, die Klosterkirche der
Benediktinerabtei Neresheim wurde 1966 wegen notwendiger Renovierungsmaßnahmen
gesperrt. Der Härtsfeldsee war erst im Entstehen begriffen.
Die Gründung des Verkehrsverbands "Gastliches Härtsfelds"
am 18. September 1970 erfolgte für die Härtsfeldbahn zu spät.
Die Entwicklungsaufgabe "Erhaltung der Härtsfeldbahn -
Aktivierung der Bahn für Betriebsausflüge u.ä. -
Einrichtung eines Picknickplatzes an der Bahnstrecke (Kalkwerk, Brünstholz)"
sprühte nicht gerade von Ideenreichtum. Die große Zeit der
Betriebsausflüge war vorbei. An den Betrieb eines Dampfzugs dachte
man damals noch nicht.
Obwohl seit 1956 ein Großteil der Strecke durch Zuschüsse Baden-Württembergs und Bayerns erneuert worden war, bestanden auf Teilabschnitten nach wie vor schwerwiegende Mängel am Oberbau. Die Höchstgeschwindigkeit war auf längeren Abschnitten auf bis zu 10 km/h herabgesetzt. Trotz hoffnungsvoller Ansätze war es offensichtlich nicht gelungen, eine konkurrenzfähige Infrastruktur zu schaffen.
Die Anhebung der Gehälter und Löhne um ca. 16,7 % in 1971 war ein schwerer Schlag für die WN. Obwohl zwischen 1964 und 1972 der Personalbestand von 46 auf 27 reduziert worden war, betrugen 1972 die Personalkosten 153,5 % der Betriebseinnahmen.
Der Haushaltsplan 1967 des Landes Baden-Württemberg sah eine sehr starke Reduzierung der Fördermittel für das Härtsfeld vor. Die bei der Härtsfeldbahn entstehende Lücke wurde durch Zuschüsse der Kreise Aalen, Heidenheim und Dillingen sowie der Stadt Dillingen verringert. Trotz zahlreicher Vermittlungsversuche stellte der Kreis Heidenheim 1971 keine weiteren Mittel für die Zahlung eines Betriebszuschusses bereit.
Investitionen erhöhten den Verlust und damit die Chance, weitere Zuschüsse einzufordern. Die Notwendigkeit der getätigten Investitionen ist heute nicht mehr nachzuweisen. Wiederverwendbares Material wurde nach der Stilllegung an andere Bahnen in Württemberg verteilt. Damit kamen die Zuschüsse nachträglich anderen Bahnen zugute.
Nach dem Motto "Was könnte man nicht alles machen, wenn da nicht die Härtsfeldbahn wäre" entstand in der Öffentlichkeit ein Bild, das die Härtsfeldbahn als hemmend für den Fortschritt darstellte. War es in Aalen das Thema Containerbahnhof, so glaubte man auf dem vorderen Härtsfeld an den schnellen Bau der Autobahn und in Bayern schließlich träumte man von einer Magnetschwebebahn.
Am 31. August 1972 legte Dipl.-Ing. Albrecht Zahn ein Gutachten über
die wirtschaftliche Situation vor. Dieses bestätigte, was man ohnehin
schon wußte: weitere Kostensenkungen waren nicht möglich und "Die
Aussichten auf eine ... Steigerung der Einnahmen müssen ... als
unwahrscheinlich bezeichnet werden." Das Fazit war: "Bei der
aufgezeigten Sachlage wird man mit der Genehmigung des Antrags der WNB
durch die Landesregierung rechnen müssen."
Dieses Gutachten erfüllte seinen Zweck. Es muß jedoch
angezweifelt werden, da es nicht aus gesamtwirtschaftlicher Sicht erstellt
wurde. Aussagen darüber, welche Auswirkungen eine Stilllegung der Bahn
haben würde, wurden nicht getroffen. Daß durch die entfallenden
Arbeitsplätze, die Notwendigkeit zum Straßenausbau,
kostspieligere Lkw-Transporte und die Abwanderung von Industriebetrieben
der Öffentlichkeit mehr Kosten entstanden, kann heute nur vermutet
werden. Neresheims Gemeinderat bezifferte in einer Resolution allein für
die Landwirtschaft die finanzielle Einbuße pro Jahr auf rund
100.000,- DM.
Ob es die Härtsfeldbahn heute noch geben würde, wenn man sie
1972 nicht stillgelegt hätte, ist dennoch fragwürdig. Im
Gegensatz zur eisenbahnfreundlichen Schweiz haben in Deutschland die
kleinen Bähnchen nur als museale Einrichtung, als touristische
Anziehungspunkte oder als Straßenbahn im städtischen Verkehr überlebt.
Eine Umspurung auf Normalspur ist nur bei einigen wenigen Strecken mit
unterschiedlichem Erfolg vorgenommen worden.
Jürgen Ranger