Härtsfeldbahn-Anzeiger

Ausgabe 2/1995

Vor neunzig Jahren schuf ein Staatsvertrag zwischen Bayern und Württemberg die Voraussetzungen, die Nebenbahn Aalen - Neresheim - Ballmertshofen bis Dillingen zu verlängern. Solche Verträge waren nicht ungewöhnlich. Noch viel häufiger mußten die Regierungsblätter des Königreichs Württemberg aber Konzessionen und Verordnungen über die Zwangsenteignung von Grund und Boden für den Eisenbahnbau publizieren.
Solange in Württemberg Eisenbahnen gebaut wurden - und dies war auch noch einige Jahre nach dem ersten Weltkrieg der Fall - findet sich in den Konzessionen zum Bahnbau immer wieder der lapidare Hinweis auf das ,,Gesetz betreffend den Bau von Eisenbahnen" vom 18. April 1843. Dieses nur aus neun Artikeln bestehende, unmittelbare königliche Dekret regelte zunächst den Bau der ersten unter staatlicher Regie verwirklichten Linien, ansonsten nur allgemeine Grundsätze. Dazu gehörte aber auch schon ein für die Zukunft ganz entscheidender Punkt: In Artikel 6 hieß es:,,Die Erbauung von Zweig-Eisenbahnen durch Privat-Unternehmer unterliegt der Concession der Regierung." Damit war klar, daß es in Württemberg Staats- sowie Privatbahnen geben darf und daß die Regierung Konzessionen erteilte.
Eine solche Konzession wurde mit dem Württembergischen Regierungsblatt vom 25. Juli 1900 bekannt gegeben, sie regelte den Bau und den Betrieb der ,,Nebeneisenbahnen von Reutlingen nach Gönningen und von Aalen über Neresheim nach Ballmertshofen". In der damaligen Zeit faßte die Regierung oftmals Konzessionen für verschiedene Strecken, die derselben Gesellschaft erteilt wurden, zusammen. In 31 Paragraphen wurden die in langen Verhandlungen erörterten rechtlichen Verhältnisse zwischen dem württembergischen Staat und der Betreibergesellschaft ,,Badische Lokaleisenbahnen" mit Sitz in Karlsruhe geregelt. Eine der wichtigsten Festlegungen war, daß die in Baden ansässige Gesellschaft in Stuttgart eine Zweigniederlassung gründen muß. Pararaph 5 legte fest, daß die beiden konzessionierten Linien der Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen Deutschlands vom 5. Juli 1892 entsprechen müssen - auch dies war eine ganz entscheidende Regelung. Eine solche alte Konzessionsurkunde enthält auch einige für heutige Auffassungen eigenartige Passagen: So legte sie fest, daß die Betreibergesellschaft auf dem Weg der Zwangsenteignung Grundstücke erwerben kann, daß bestimmte Subaltern- und Unterbeamtenstellen Militär-anwärtern vorbehalten sind und die Gesellschaft bei Beschäadigungen im Kriegsfall keinen Anspruch auf Ersatzleistungen des Staats hatte.
Für die in der Konzession angesprochene Möglichkeit der Zwangsenteignung gab die Regierung am 1. Dezember 1900 eine besondere Verordnung heraus, in der auch näher festgelegt ist, wie die Härtsfeldbahn verläuft.
Am 12 April 1905 schlossen die Königreiche Bayern und Württemberg nach langen Verhandlungen einen Staatsvertrag ,,über die Herstellung weiterer Eisenbahnen zwischen beiden Staatsgebieten ab". Dieser Staatsvertrag regelte die Verhältnisse für eine ganze Reihe geplanter Strecken. In den Paragraphen 9 bis 16 war von der Härtsfeldbahn die Rede. Sie sollte von Ballmertshofen bis Dillingen meterspurig weitergebaut werden, aber ,,der spätere Ausbau zu normaler Spurweite soll nicht ausgeschlossen sein."
In einem Paragraphen des vor 90 Jahren abgeschlossenen Staatsvertrags hieß es: ,,Jede der beiden Regierungen übt für ihr Gebiet das staatliche Aufsichtsrecht über die Verwaltung der Bahn aus. Soweit eine einheitliche Ausübung dieses Aufsichtsrechts im Interesse des Eisenbahnverkehrs liegt, werden die vertragschließenden Regierungen eine Verständigng hierüber unter sich herbeiführen."
Mit solchen Verständigungen haperte es seinerzeit allerdings. Beispielsweise gab es bei der Härtsfeldbahn in den ersten Betriebsjahren einige Probleme mit den unterschiedlichen Feiertagen in Bayern und Württemberg: Wenn in Bayern ein Feiertag war, standen an den bayerischen Bahnhöfen Reisende und warteten auf die Feiertagszüge - aber die Bahn fuhr nach dem württembergischen Plan wie an Werktagen. Solche Probleme bekam man nach einiger Zeit in den Griff. Was für die Härtsf'eldbahn aber bis zuletzt kennzeichnend war, ist, daß an allen Fntscheidungen die Regierungen in Stuttgart und München mitwirken mußten.

Andreas Räntsch

Die Härtsfeldbahn in der Kriegs- und Nachkriegszeit

Recherchiert man im HMB-Archiv oder in anderen Archiven, so merkt man schnell, daß aus der Zeit vor 1950 nur wenige Unterlagen über die Härtsfeldbahn zu finden sind. So ist beispielsweise in den Unterlagen zur Malletlokomotive WN 2 der lapidaren Hinweis "Die Kesselakten sind durch Kriegseinwirkung verloren gegangen." zu entdecken. Auch in Zeitungen finden sich nur spärlich Hinweise auf das Schicksal der Härtsfeldbahn in den vierziger Jahren. Dabei hat die Bahn in diesem Jahrzehnt die wohl turbulentesten Jahre ihres Bestehens erlebt.
Anläßlich der vielen Bilder zum fünfzigsten Jahrestag des Kriegsendes mag sich zur Zeit mancher wieder deutlicher an die Kriegs- und Nachkriegszeit erinnern. Vielleicht gelingt es uns auf diesem Wege, den einen oder anderen Leser dazu zu bringen, seine Erlebnisse mit der Härtsfeldbahn aus diesen Jahren zu Papier zu bringen.
Kriegsbedingt stiegen die Beförderungsleistungen zwischen 1939 und 1944 stetig an. Der Krieg schien in diesen Jahren fern; erst 1944 gab es erste Anzeichen, als das Direktionsgebäude durch Kriegseinwirkung niederbrannte. Das Härtsfeld selbst bekam die Auswirkungen des Krieges erst spät, aber heftig zu spüren. Als Dr. Kurt Seidel anfangs der sechziger Jahre sein Buch "Brücke zum Härtsfeld" verfaßte, zeichnete er folgendes anschauliches Bild:
"Waren der Härtsfeldbahn in Ihrer bisherigen Geschichte bis zum zweiten Weltkrieg Unfälle mit erheblichen Schäden erspart geblieben, so brachte der sinnlose und unerbittliche Krieg der Bahn schwerste Schäden bei, die es aber nicht nur bei materiellen Verlusten bewenden ließen, sondern auch Menschenleben forderten.
Das Personal hatte schweren Dienst zu leisten, da ein Teil zum Kriegsdienst eingezogen war. Drei Frauen waren für den Zugbegleitdienst ausgebildet und als Hilfsschaffnerinnen eingesetzt worden. Noch hatte das böse Kriegsgeschehen das Härtsfeld verschont. In den letzten Kriegswochen (1945) aber, als die ganze Ohnmacht der Hitlerdiktatur sichtbar wurde und das nationalsozialistische System sich langsam, aber sicher seinem kläglichen Ende näherte, kam der totale Krieg auch auf das Härtsfeld und schlug erbarmungslos zu. Die friedliche Bevölkerung war schutzlos preisgegeben, und gegen die drohenden Gefahren konnte sie nichts unternehmen. Diejenigen, die zum Schutze dagewesen wären, ließen sich nicht blicken.
Am Montag, 19. Februar 1945, griffen gegen 14.15 Uhr bei km 36,2 zwischen Ballmertshofen und Dischingen vier Flugzeuge der alliierten Luftstreitkräfte den in Richtung Neresheim fahrenden Zug Nr. 7 an. Trockenes Wetter mit klarer Sicht erleichterte den Angriff. Der Zug hielt an, als die Gefahr offensichtlich wurde, und ein Teil der Fahrgäste suchte am Bahndamm Deckung. Die Bordwaffen der Flugzeuge hatten der Lokomotive über 50 Treffer beigebracht, so daß sie betriebsunfähig wurde. Die drei mitgeführten Personenwagen wurden durch eine Unzahl von Treffern durchlöchert, wobei die Wagenkästen beschädigt und nahezu alle Scheiben zertrümmert wurden. Sieben Fahrgäste wurden sofort getötet, während fünf weitere schwere Verletzungen erlitten. Frau Maria Meindl aus Neresheim, Hilfsschaffnerin bei der Härtsfeldbahn, erlitt in Ausübung ihres Dienstes schwere Verletzungen, die zur Folge hatten, daß ihr linkes Bein amputiert werden mußte. Weitere zehn Reisende wurden leicht verletzt. Eine Ersatzlokomotive wurde herbeigerufen, die die zerstörte Garnitur nach Neresheim brachte. Von dort aus trat der Zug mit einer Ersatzgarnitur nach 200 Minuten Verspätung die Weiterfahrt nach Aalen an."
Ein weiterer Angriffe folgte bereits am Tag darauf auf einen Bedarfsgüterzug, wobei glücklicherweise niemand verletzt wurde. Folgenschwerer war der dritte und letzte Angriff am 10. April 1945, bei dem sechs Fahrgäste ums Leben kamen und drei weitere an den Folgen ihrer schweren Verletzungen kurz danach starben. Darunter befand sich auch der verheiratete Zugführer Xaver Seitz aus Neresheim. Weitere acht Fahrgäste überstanden den Angriff mit schweren Verletzungen. Als Folge wurde der Zugverkehr auf die Nachtzeit verlegt.
Durch die drei Angriffe waren beide Malletlokomotiven, die Heißdampf-Lokomotive Nr. 12, sechs der acht Personenwagen, zwei der drei Gepäckwagen und sechs Güterwagen außer Gefecht gesetzt.
Am 20. April 1945 fuhr der letzte Zug. Zwei Tage später rückten die Amerikaner in Neresheim ein.
In der Folgezeit mußte auf Anordnung der Siegermächte die Aufschrift "ALLIED FORCES" an sämtlichen Fahrzeugen angebracht werden. Reste einer solchen Beschriftung sind heute noch an dem HMB-Güterwagen 156 zu erkennen. Unmittelbar nach dem Einmarsch der US-Truppen wurde die Arbeit wieder aufgenommen, so daß am 13. Juni 1945 wieder der erste Zug fahren konnte. Es sollte aber noch bis 1946 dauern, bis alle Fahrzeuge wieder einsetzbar waren. Dies war auch notwendig, denn es kam die Zeit der Hamsterzüge und die Beförderungsleistung erreichte noch nie dagewesene Spitzenleistungen. Waren 1946 noch 527.552 Personen befördert worden, so konnte man 1947 die Zahl nur noch mit ca. 750.000 schätzen. In dieser Zeit war die Härtsfeldbahn das einzige funktionierende Transportmittel auf dem Härtsfeld. Mit der Währungsreform 1948 gingen die Fahrgastzahlen wieder rapide zurück, so daß in diesem Jahr nur noch 434.850 Personen befördert worden sind. In dieser Zeit stieg die Bevölkerungszahl in Neresheim von 1143 im Jahre 1939 auf 1949 im Jahr 1950. Darunter befanden sich etwa 900 Neubürger, die aus ihrer Heimat geflüchtet oder vertrieben worden waren. Das Härtsfeld lernten sie wohl überwiegend zuerst mit der Härtsfeldbahn kennen.
Die in diesen Jahren ziemlich heruntergekommene Härtsfeldbahn zollte dieser Entwicklung Tribut, indem sie 1948/1949 aus der Schweiz vier altbrauchbare Personenwagen erwarb und einen Güterwagen zum Gepäckwagen umbaute. Damit stand zum Ende des Jahrzehnts eine weitere Personenzuggarnitur zur Verfügung.

Jürgen Ranger

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[ Letzte Aktualisierung 01.07.1997 Gerald Stempel ]