Vor neunzig Jahren schuf ein Staatsvertrag zwischen Bayern und Württemberg
      die Voraussetzungen, die Nebenbahn Aalen - Neresheim - Ballmertshofen bis
      Dillingen zu verlängern. Solche Verträge waren nicht ungewöhnlich.
      Noch viel häufiger mußten die Regierungsblätter des Königreichs
      Württemberg aber Konzessionen und Verordnungen über die
      Zwangsenteignung von Grund und Boden für den Eisenbahnbau
      publizieren. 
 Solange in Württemberg Eisenbahnen gebaut wurden - und dies war auch
      noch einige Jahre nach dem ersten Weltkrieg der Fall - findet sich in den
      Konzessionen zum Bahnbau immer wieder der lapidare Hinweis auf das
      ,,Gesetz betreffend den Bau von Eisenbahnen" vom 18. April 1843.
      Dieses nur aus neun Artikeln bestehende, unmittelbare königliche
      Dekret regelte zunächst den Bau der ersten unter staatlicher Regie
      verwirklichten Linien, ansonsten nur allgemeine Grundsätze. Dazu gehörte
      aber auch schon ein für die Zukunft ganz entscheidender Punkt: In
      Artikel 6 hieß es:,,Die Erbauung von Zweig-Eisenbahnen durch
      Privat-Unternehmer unterliegt der Concession der Regierung." Damit
      war klar, daß es in Württemberg Staats- sowie Privatbahnen
      geben darf und daß die Regierung Konzessionen erteilte. 
 Eine solche Konzession wurde mit dem Württembergischen
      Regierungsblatt vom 25. Juli 1900 bekannt gegeben, sie regelte den Bau und
      den Betrieb der ,,Nebeneisenbahnen von Reutlingen nach Gönningen und
      von Aalen über Neresheim nach Ballmertshofen". In der damaligen
      Zeit faßte die Regierung oftmals Konzessionen für verschiedene
      Strecken, die derselben Gesellschaft erteilt wurden, zusammen. In 31
      Paragraphen wurden die in langen Verhandlungen erörterten rechtlichen
      Verhältnisse zwischen dem württembergischen Staat und der
      Betreibergesellschaft ,,Badische Lokaleisenbahnen" mit Sitz in
      Karlsruhe geregelt. Eine der wichtigsten Festlegungen war, daß die
      in Baden ansässige Gesellschaft in Stuttgart eine Zweigniederlassung
      gründen muß. Pararaph 5 legte fest, daß die beiden
      konzessionierten Linien der Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen
      Deutschlands vom 5. Juli 1892 entsprechen müssen - auch dies war eine
      ganz entscheidende Regelung. Eine solche alte Konzessionsurkunde enthält
      auch einige für heutige Auffassungen eigenartige Passagen: So legte
      sie fest, daß die Betreibergesellschaft auf dem Weg der
      Zwangsenteignung Grundstücke erwerben kann, daß bestimmte
      Subaltern- und Unterbeamtenstellen Militär-anwärtern vorbehalten
      sind und die Gesellschaft bei Beschäadigungen im Kriegsfall keinen
      Anspruch auf Ersatzleistungen des Staats hatte. 
 Für die in der Konzession angesprochene Möglichkeit der
      Zwangsenteignung gab die Regierung am 1. Dezember 1900 eine besondere
      Verordnung heraus, in der auch näher festgelegt ist, wie die Härtsfeldbahn
      verläuft. 
 Am 12 April 1905 schlossen die Königreiche Bayern und Württemberg
      nach langen Verhandlungen einen Staatsvertrag ,,über die Herstellung
      weiterer Eisenbahnen zwischen beiden Staatsgebieten ab". Dieser
      Staatsvertrag regelte die Verhältnisse für eine ganze Reihe
      geplanter Strecken. In den Paragraphen 9 bis 16 war von der Härtsfeldbahn
      die Rede. Sie sollte von Ballmertshofen bis Dillingen meterspurig
      weitergebaut werden, aber ,,der spätere Ausbau zu normaler Spurweite
      soll nicht ausgeschlossen sein." 
 In einem Paragraphen des vor 90 Jahren abgeschlossenen Staatsvertrags hieß
      es: ,,Jede der beiden Regierungen übt für ihr Gebiet das
      staatliche Aufsichtsrecht über die Verwaltung der Bahn aus. Soweit
      eine einheitliche Ausübung dieses Aufsichtsrechts im Interesse des
      Eisenbahnverkehrs liegt, werden die vertragschließenden Regierungen
      eine Verständigng hierüber unter sich herbeiführen." 
 Mit solchen Verständigungen haperte es seinerzeit allerdings.
      Beispielsweise gab es bei der Härtsfeldbahn in den ersten
      Betriebsjahren einige Probleme mit den unterschiedlichen Feiertagen in
      Bayern und Württemberg: Wenn in Bayern ein Feiertag war, standen an
      den bayerischen Bahnhöfen Reisende und warteten auf die Feiertagszüge
      - aber die Bahn fuhr nach dem württembergischen Plan wie an
      Werktagen. Solche Probleme bekam man nach einiger Zeit in den Griff. Was für
      die Härtsf'eldbahn aber bis zuletzt kennzeichnend war, ist, daß
      an allen Fntscheidungen die Regierungen in Stuttgart und München
      mitwirken mußten. 
Recherchiert man im HMB-Archiv oder in anderen Archiven, so merkt man
      schnell, daß aus der Zeit vor 1950 nur wenige Unterlagen über
      die Härtsfeldbahn zu finden sind. So ist beispielsweise in den
      Unterlagen zur Malletlokomotive WN 2 der lapidaren Hinweis "Die
      Kesselakten sind durch Kriegseinwirkung verloren gegangen." zu
      entdecken. Auch in Zeitungen finden sich nur spärlich Hinweise auf
      das Schicksal der Härtsfeldbahn in den vierziger Jahren. Dabei hat
      die Bahn in diesem Jahrzehnt die wohl turbulentesten Jahre ihres Bestehens
      erlebt. 
 Anläßlich der vielen Bilder zum fünfzigsten Jahrestag des
      Kriegsendes mag sich zur Zeit mancher wieder deutlicher an die Kriegs- und
      Nachkriegszeit erinnern. Vielleicht gelingt es uns auf diesem Wege, den
      einen oder anderen Leser dazu zu bringen, seine Erlebnisse mit der Härtsfeldbahn
      aus diesen Jahren zu Papier zu bringen. 
 Kriegsbedingt stiegen die Beförderungsleistungen zwischen 1939 und
      1944 stetig an. Der Krieg schien in diesen Jahren fern; erst 1944 gab es
      erste Anzeichen, als das Direktionsgebäude durch Kriegseinwirkung
      niederbrannte. Das Härtsfeld selbst bekam die Auswirkungen des
      Krieges erst spät, aber heftig zu spüren. Als Dr. Kurt Seidel
      anfangs der sechziger Jahre sein Buch "Brücke zum Härtsfeld"
      verfaßte, zeichnete er folgendes anschauliches Bild: 
 "Waren der Härtsfeldbahn in Ihrer bisherigen Geschichte bis zum
      zweiten Weltkrieg Unfälle mit erheblichen Schäden erspart
      geblieben, so brachte der sinnlose und unerbittliche Krieg der Bahn
      schwerste Schäden bei, die es aber nicht nur bei materiellen
      Verlusten bewenden ließen, sondern auch Menschenleben forderten. 
 Das Personal hatte schweren Dienst zu leisten, da ein Teil zum
      Kriegsdienst eingezogen war. Drei Frauen waren für den
      Zugbegleitdienst ausgebildet und als Hilfsschaffnerinnen eingesetzt
      worden. Noch hatte das böse Kriegsgeschehen das Härtsfeld
      verschont. In den letzten Kriegswochen (1945) aber, als die ganze Ohnmacht
      der Hitlerdiktatur sichtbar wurde und das nationalsozialistische System
      sich langsam, aber sicher seinem kläglichen Ende näherte, kam
      der totale Krieg auch auf das Härtsfeld und schlug erbarmungslos zu.
      Die friedliche Bevölkerung war schutzlos preisgegeben, und gegen die
      drohenden Gefahren konnte sie nichts unternehmen. Diejenigen, die zum
      Schutze dagewesen wären, ließen sich nicht blicken. 
 Am Montag, 19. Februar 1945, griffen gegen 14.15 Uhr bei km 36,2 zwischen
      Ballmertshofen und Dischingen vier Flugzeuge der alliierten Luftstreitkräfte
      den in Richtung Neresheim fahrenden Zug Nr. 7 an. Trockenes Wetter mit
      klarer Sicht erleichterte den Angriff. Der Zug hielt an, als die Gefahr
      offensichtlich wurde, und ein Teil der Fahrgäste suchte am Bahndamm
      Deckung. Die Bordwaffen der Flugzeuge hatten der Lokomotive über 50
      Treffer beigebracht, so daß sie betriebsunfähig wurde. Die drei
      mitgeführten Personenwagen wurden durch eine Unzahl von Treffern
      durchlöchert, wobei die Wagenkästen beschädigt und nahezu
      alle Scheiben zertrümmert wurden. Sieben Fahrgäste wurden sofort
      getötet, während fünf weitere schwere Verletzungen
      erlitten. Frau Maria Meindl aus Neresheim, Hilfsschaffnerin bei der Härtsfeldbahn,
      erlitt in Ausübung ihres Dienstes schwere Verletzungen, die zur Folge
      hatten, daß ihr linkes Bein amputiert werden mußte. Weitere
      zehn Reisende wurden leicht verletzt. Eine Ersatzlokomotive wurde
      herbeigerufen, die die zerstörte Garnitur nach Neresheim brachte. Von
      dort aus trat der Zug mit einer Ersatzgarnitur nach 200 Minuten Verspätung
      die Weiterfahrt nach Aalen an." 
 Ein weiterer Angriffe folgte bereits am Tag darauf auf einen Bedarfsgüterzug,
      wobei glücklicherweise niemand verletzt wurde. Folgenschwerer war der
      dritte und letzte Angriff am 10. April 1945, bei dem sechs Fahrgäste
      ums Leben kamen und drei weitere an den Folgen ihrer schweren Verletzungen
      kurz danach starben. Darunter befand sich auch der verheiratete Zugführer
      Xaver Seitz aus Neresheim. Weitere acht Fahrgäste überstanden
      den Angriff mit schweren Verletzungen. Als Folge wurde der Zugverkehr auf
      die Nachtzeit verlegt. 
 Durch die drei Angriffe waren beide Malletlokomotiven, die Heißdampf-Lokomotive
      Nr. 12, sechs der acht Personenwagen, zwei der drei Gepäckwagen und
      sechs Güterwagen außer Gefecht gesetzt. 
 Am 20. April 1945 fuhr der letzte Zug. Zwei Tage später rückten
      die Amerikaner in Neresheim ein. 
 In der Folgezeit mußte auf Anordnung der Siegermächte die
      Aufschrift "ALLIED FORCES" an sämtlichen Fahrzeugen
      angebracht werden. Reste einer solchen Beschriftung sind heute noch an dem
      HMB-Güterwagen 156 zu erkennen. Unmittelbar nach dem Einmarsch der
      US-Truppen wurde die Arbeit wieder aufgenommen, so daß am 13. Juni
      1945 wieder der erste Zug fahren konnte. Es sollte aber noch bis 1946
      dauern, bis alle Fahrzeuge wieder einsetzbar waren. Dies war auch
      notwendig, denn es kam die Zeit der Hamsterzüge und die Beförderungsleistung
      erreichte noch nie dagewesene Spitzenleistungen. Waren 1946 noch 527.552
      Personen befördert worden, so konnte man 1947 die Zahl nur noch mit
      ca. 750.000 schätzen. In dieser Zeit war die Härtsfeldbahn das
      einzige funktionierende Transportmittel auf dem Härtsfeld. Mit der Währungsreform
      1948 gingen die Fahrgastzahlen wieder rapide zurück, so daß in
      diesem Jahr nur noch 434.850 Personen befördert worden sind. In
      dieser Zeit stieg die Bevölkerungszahl in Neresheim von 1143 im Jahre
      1939 auf 1949 im Jahr 1950. Darunter befanden sich etwa 900 Neubürger,
      die aus ihrer Heimat geflüchtet oder vertrieben worden waren. Das Härtsfeld
      lernten sie wohl überwiegend zuerst mit der Härtsfeldbahn
      kennen. 
 Die in diesen Jahren ziemlich heruntergekommene Härtsfeldbahn zollte
      dieser Entwicklung Tribut, indem sie 1948/1949 aus der Schweiz vier
      altbrauchbare Personenwagen erwarb und einen Güterwagen zum Gepäckwagen
      umbaute. Damit stand zum Ende des Jahrzehnts eine weitere
      Personenzuggarnitur zur Verfügung. 
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