Härtsfeldbahn-Anzeiger

Ausgabe 1/1996

Eine Fahrt mit der Schättre!

Centralstation Neresheim. Ein Ruf hallt durch die Men-
schenmenge am Bahnhof:,,Bitte alle einsteigen! Vorsicht
bei Abfahrt des Zuges!'" Dann ein Pfiff und das Bähnle
setzt sich langsam in Bewegung.
Fröhliche Menschen winken den Zurückgebliebenen.
Kinder stehen an der Hand ihres Vaters auf der Plattform
und schauen fasziniert den dahinhuschenden Schienen
und Schwellen unten zwischen den Wagen zu. Drinnen
erzählt ein schon etwas älterer Herr von den schweren
Zeiten damals nach dem Krieg, und daß er da öfters mit
der Schättere gefahren sei auf der Suche nach etwas
Eßbarem. Ganz vorne stehen die eingefleischten Fans
und lassen sich die etwas rußige Luft um die Nase we-
hen.
Am Bahnübergang sammeln sich die Autos und
warten, daß sich die Schranken wieder öffnen. Die Auto-
fahrer genießen die kurze Pause und schauen der Vorbei-
fahrt des Zügles gut gelaunt zu.
Kurz danach wird die Fahrt langsamer. Der Zug hält
an. "Steinmühle!" schallt der Ruf des Zugführers. Einige
zünftige Wanderer in rotweißkarierten Hemden und
Kniebundhosen steigen aus. Sie wollen eine Rundwande-
rung durch die Neresheimer Zwing und am Hochstatter
Hof vorbei machen und dabei die einzigartige Härtsfeld-
landschaft genießen.
,,Einsteigen bitte! Vorsicht bei Abfahrt des Zuges!"
Das Bähnle setzt sich wieder in Bewegung. Nach weni-
en Metern rumpelt der Zug über die Egaubrücke. Der
Schaffner weist darauf hin, daß man jetzt durch ein Na-
turschutzgebiet fahre und bittet die Fahrgäste, dort auf
den Wegen zu bleiben und die Pflanzen- und Tierwelt
nicht zu stören. Langsamer als bisher rollt die Lok mit
ihren Wagen zwischen kleinen Seen und den wildroman-
tisch zugewachsenen Steinbrüchen hindurch.
Kaum geht es wieder etwas schneller, stoppt der Zug
auch schon. "Sägmühle! Endstation! Bitte alle ausstei-
gen!" Die Lokomotive wird abgekuppelt, fährt um die
Wagen herum und wird am Ende wieder angehängt. Aus
dem Gepäckwagen werden Fahrräder und Kinderwagen
ausgeladen. Fotoapparate klicken. Videokameras surren.
Bald schon, so erfährt man von der Lokbesatzung,
soll es bis zum Härtsfeldsee weitergehen und irgendwann
sogar bis Dischingen. Die ehemalige Holzverladestation
Sägmühle wäre nur auf Zeit die Endstation.
Kurze Zeit später ertönt wieder der nun schon be-
kannte Ruf: ,,Alle einsteigen bitte!" Es geht zurück nach
Neresheim.
Was sich heute noch wie eine Utopie anhört, wird in
absehbarer Zeit schon Realität sein. Ende 1995 ist den
HMB-Idealisten ein wichtiger Schritt hin zum Wieder-
aufbau des ehemaligen Härtsfeldbahnabschnitts Neres-
heim - Sägmühle gelungen. Mit dem Erwerb des an die
Centralstation angrenzenden Grundstücks - ein dem
Kloster Neresheim gehörender Acker - konnte der
Grunderwerb abgeschlossen werden. Damit steht dem
Wiederaufbau nun nichts mehr im Wege.
Was jetzt noch folgt, ist ein Verwaltungsakt: das
Planfeststellungsverfahren muß abgeschlossen werden.
Noch in diesem Jahr ist mit dem ersten Spatenstich zu
rechnen. Bereits jetzt zeigen sich auf dem Gelände der
Centralstation Neresheim erste Spuren des bevorstehen-
den Baus: Schwellen und Schienen werden antranspor-
tiert und zwischenge1agert.
Die Finanzierung erfolgt unter anderem durch den Ver-
kauf von Gleisbausteinen. Für 50.- DM kann man sich
seinen eigenen Meter Schättere-Gleis sichern. Eine deko-
rative Urkunde gibt über die genaue Lage des erworbe-
nen Gleisstücks Auskunft. Erhältlich sind die Gleisbau-
steine im Neresheimer Härtsfeldbahn-Museum oder beim
Härtsfeld-Museumsbahn e.V.

Jürgen Ranger

Die zweite Teilstrecke der Härtsfeldbahn:
Ballmertshofen - Dillingen (Teil 1)

Vor 90 Jahren, am 3. April 1906, fand die große Eröff-
nungsfahrt auf der zweiten Teilstrecke der Härtsfeldbahn
zwischen Ballmertshofen und Dillingen statt. Erst mit
diesem zweiten Abschnitt wurde die Härtsfeldbahn zu der
vollständigen Eisenbahnverbindung, die von den Initiato-
ren angestrebt worden war.
Der Gedanke, eine Strecke von Dillingen aus zum
Härtsfeld zu bauen, ist ebenso alt wie das Projekt der
Härtsfeldbahn vom Kochertal auf die Hochfläche nach
Neresheim. Im September 1891 fragte der Di11inger Ma-
gistrat erstmals beim Neresheimer Oberamt an, wie weit
die Überlegungen gediehen seien, eine Strecke von Ne-
resheim weiter zur Donautalbahn bei Dillingen zu bauen.
In den folgenden Jahren bemühte sich das Oberamt
Neresheim um den Bau der Verbindung von Aalen oder
Unterkochen nach Dischingen - für weitergehende Über-
legungen, also für den Gedanken an eine Fortsetzung
nach Bayern, war die Zeit noch nicht reif.
In den Jahren 1896 und 1897 wurde dies anders. Nach
und nach zeichnete sich ab, daß Neresheim einen Bahnan-
schluß erhalten könnte - nur der Zeitpunkt war noch
völlig offen. Fabrikdirektor Reh aus Zöschlinsweiler
brachte die Diskussion um eine Eisenbahnstrecke zu den
nördlich von Dillingen und Lauingen gelegenen Bachtal-
orten wieder in Gang.
Am 7. März 1897, auf dem Höhepunkt der Proteste
gegen den erst nach Vorlage des Neresheimer Projekts
abgegebenen Vorschlag einer in Heidenheim beginnenden
Härtsfeldbahn, nahm auch der Dillinger Bürgermeister
Degen an einer Veranstaltungn in Neresheim teil. Degen
äußerte sich klar gegen das Heidenheimer Projekt. Die
Natur zeichne die Linie von Aalen nach Neresheim und
Dischingen vor. Nur sie entspreche den volkswirtschaftli-
chen Interessen und habe Aussicht auf eine Verlängerung
nach Bayern.
Noch während die Konflikte mit Heidenheim weiter-
gingen, zeichnete sich in Bayern eine ähnliche Situation
ab. Ende 1896 hatte die Stadt Lauingen eine Petition
abgegeben und um den Bau einer Eisenbahnlinie zu den
Bachtalorten nachgesucht. Im Frühjahr 1897 folgte aus
Dillingen eine Petition. Damit war ein langdauernder
Interessenkonflikt entstanden: Beide Orte wollten End-
punkt der bayerischen Strecke werden, die auch an die
Härtsfeldbahn aus Neresheim anschließen konnte.
In den zwei folgenden Jahren klärte sich in Württem-
berg die Lage: Die Härtsfeldbahn sollte von Aalen über
Neresheim nach Ballmertshofen gebaut werden. Das
Eisenbahngesetz vom 2. Juli 1899 schuf endgültige
Klarheit. 1m Dezember 1899 lag ein Projekt für eine nor-
malspurige Eisenbahn von Dillingen durch das Egautal
zur württembergischen Grenze vor. Die städtischen Kol-
legien Dillingens schlugen vor, diese Bahn entweder
durch den Staat bauen zu lassen, oder einer Privatgesell-
schaft einen Zuschuß zu zahlen.
Als am 30. Oktober 1901 die Eröffnungsfahrten für
die Schmalspurbahn Aalen - Ballmertshofen stattfanden,
nahmen auch bayerische Abgesandte teil; sie verliehen der
Hoffnung Ausdruck, daß bald über den Endpunkt Ball-
mertshofen hinaus weitergebaut werde.
Der bayerische Landtag stimmte dem Bau einer
Strecke zu den Bachtalorten am 1. August 1902 zu, aber
zwei Wochen später verschob das Außenministerium
dieses Vorhaben um unbestimmte Zeit. Nach weiteren
Eingaben und nachdem sich die Erbauerin der Härtsfeld-
bahn, die Westdeutsche Eisenbahn-gesellschaft (WdEG),
selbst an sie gewandt hatte, erklärte die bayerische Regie-
rung im September 1903 zumindest ihre Bereitschaft, eine
Konzession zum Weiterbau der Härtsfeldbahn zu erteilen.
Die WdEG sollte über den Endpunkt Dillingen oder
Lauingen selbst entscheiden. Im November 1903 einigten
sich Dillingen und Lauingen über die Aufteilung der
Grunderwerbungskosten. Da Lauingen mittels einer
Schleife an die in Dillingen endende Strecke angeschlos-
sen werden sollte, übernahm die Gemeinde ein Drittel der
Grunderwerbung; Dillingen kam für zwei Drittel auf.
Württemberg hatte am Weiterbau der Härtsfeldbahn
über Ballmertshofen hinaus bis auf wenige hundert Strek-
kenmeter keinen Anteil; aus diesem Grund war allein das
bayerische Lokalbahn Gesetz vom 10. August 1904 für
den zweiten Abschnitt entscheidend. Dieses Gesetz ge-
währte der WdEG einen Zuschß von 300.000 Mark für
die Strecke von der Landesgrenze bis nach Dillingen. Die
Konzessionsurkunde wurde der für den Betrieb zuständi-
gen Badischen Lokaleisenbahnen AG am 8. April 1905
ausgestellt. Ein am 12. April 1905 abgeschlossener
Staatsvertrag regelte die rechtlichen Verhältnisse mit
Württemberg.
Am 25. Mai 1905 konnte mit dem Bau der Strecke
begonnen werden - zunächst bei Wittislingen, wo um-
fangreiche Felsarbeiten erforderlich waren. Schließlich
waren bis zu 420 Arbeiter gleichzeitig beschäftigt, bei
Wittislingen bis zu 200. Ende Juli 1905 war die Strecke
von Ballmertshofen bis zur Landesgrenze fertiggestellt,
Anfang Oktober lagen die Schienen bis Wittislingen. Im
Oktober unterbrach schlechtes Wetter die Arbeiten, aber
Ende November war die gesamte, 16,3 Kilometer lange
Teilstrecke so weit fertiggestellt, daß Materialzüge ver-
kehren konnten, Am 10. Dezember fand eine erste Probe-
fahrt statt, bei der mit Fahrgeschwindigkeiten bis zu 45
km/h die Strecke Dillingen - Ballmertshofen innerhalb
von 39 Minuten zurückgelegt werden konnte.
Eine ganze Reihe von Baumaßnahmen - hierzu gehör-
te auch das Auswechseln falscher Normalspur-Schienen-
profile in der Dillinger Rollbockanlage - verzögerte die
Fertigstellung aber noch um mehrere Monate.
Schon im Vorfeld der Eröffnung legte der Nereshei-
mer Schloßpfarrer Schips im Februar 1906 einen neuen
Härtsfeldführer vor, der den Titel trug:,,Mit der Härts-
feldbahn vom Kocher zur Donau". Am 3. April 1906
konnten die Eröffnungsfahrten durchgeführt werden, am
4. April 1906 begann der Regelbetrieb.

Andreas, M. Räntzsch

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[ Letzte Aktualisierung 20.02.1997 Gerald Stempel ]